Nicht alles was möglich ist muss man auch tun – viel wichtiger ist, sich klar zu werden, was man tun möchte.

Bärbel Klepp

Patient:innenkompetenz und Entscheidungsfindung

Ich verbrachte fast 30 Jahre im österreichischen Gesundheitssystem. Mir schien zunehmend, dass alle im Gesundheitssystem ÜBER Patient:innen sprechen – aber kaum jemand ausreichend Zeit hat MIT Patient:innen zu sprechen. Dabei hat doch jede:r Patient:in ganz individuelle Themen, die gehört gehören.

Von außen betrachtet schien alles wunderbar. Ich war am Höhepunkt meiner Karriere angelangt, als Mitglied der Geschäftsführung in einem großen, forschenden Pharmakonzern. Ich durfte ein wunderbares Team führen und hatte tolle Kolleg:innen. Wie bei allen Pharmafirmen haben auch wir viel Zeit mit dem Thema unseres „purpose“ verbracht, viel über die Bedürfnisse von Patient:innen gesprochen und Patient:innen ins Zentrum unseres Handelns gestellt. Dennoch fehlte mir etwas. Dieses Gefühl meldete sich immer häufiger bei mir und immer lauter. Irgendwie waren mir diese Diskussionen alle viel zu weit weg von den Themen, die mich eigentlich beschäftigten.

Und was hat das mit www.care-for-you.at zu tun?

Irgendwann war die Zeit reif und ich wollte die Fähigkeiten, die ich mir in meiner beruflichen Laufbahn aneignen konnte, Patient:innen DIREKT zur Verfügung stellen. Ich möchte MIT Patient:innen und FÜR Patient:innen arbeiten. Ich würde gerne Patient:innen ermutigen, sich mit ihrer Erkrankung und noch wichtiger mit ihren Optionen auseinander zu setzen und sie durch das Gesundheitssystem begleiten. Je ernster jedoch eine Diagnose ist, umso schwerer fällt es, nicht von der Fülle an Informationen übermannt zu werden. Um die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren, ist Beratung eine gute Möglichkeit, um sich zu besinnen, was wirklich wichtig ist. Erst dann kann man als Patient:in in einen gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozess mit behandelnden Ärzt:innen eintreten. Denn – „Nicht alles was möglich ist muss man auch tun – viel wichtiger ist, sich klar zu werden, was man tun möchte”

Ihre

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Bärbel Klepp

 

Weiterführende Information:

Patient:innenkompetenz als Menschenrecht

Als Patient:innenkompetenz bzw. Patient Empowerment bezeichnet man eine relativ neue Bewegung, um die Stellung von Patient:innen durch Information, Mitwirkung und Mitentscheidung zu verbessern. Neuerdings wird die aktive Einbeziehung von Patient:innen auch im Rahmen von Patient:innen–Sicherheitsinitiativen stärker in den Vordergrund gerückt. Die WHO (WHO-Dokument „World Alliance of Patient Safety“) definiert Patient-Empowerment als integralen Bestandteil von Programmen zur Verbesserung der Patient:innensicherheit [1].

Grundvoraussetzung für diese Bewegung ist eine neue Definition der Rolle von Patient:innen. Historisch gesehen haben Patient:innen und Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen eine paternalistische Beziehung [2], in der Patient:innen eher Zuschauer:innen im eigenen Heilungsprozess sind. Die Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen leiten die Patient:inneninteressen unter dem Prinzip der Wohltätigkeit. Patient:innen sind passive Empfänger:innen.

Im heutigen Verständnis der Patient:innenversorgung sind Patient:innen die Schlüsselfiguren. Die Beteiligung an Entscheidungen ist ein fundamentales Menschenrecht.

Komponenten der Patient:innenkompetenz

In einem Review (McGuckin und Mitarbeiter) wurden 4 bedeutsame Komponenten für ein gelungenes Patient Empowerment identifiziert [3]:

  1. Patient:innenpartizipation
    Patient:innen verstehen das Konzept und akzeptieren ihre Chance, in den Heilungsprozess einzugreifen und damit auch Verantwortung zu übernehmen.
  2. Patient:innenwissen
    Patient:innen werden ausreichend Informationen und Wissen zur Verfügung gestellt, um sie in die Lage zu versetzen, aktiv an Entscheidungen teilzunehmen.
  3. Fähigkeiten der Patient:innen
    Patient:innen sind davon überzeugt, mithilfe ihrer eigenen Fähigkeiten, eine Wirkung zu erzielen. Dieses Wissen um die eigene Selbstwirksamkeit ermutigt Patient:innen dazu, auf ihre Behandlung Einfluss zu nehmen.
  4. Unterstützende Kultur
    Es gilt, eine Umgebung zu schaffen, die eine Partizipation der Patient:innen unterstützt und eine offene Kommunikation ermöglicht.

Patient:innenwissen als Basis für gemeinsame Entscheidungsfindung

Patient Empowerment ist aber nur der erste Schritt um zu einer gemeinsamen Entscheidungsfindung (shared decission making) zu kommen. Die gemeinsame Entscheidungsfindung ist ein Prozess, bei dem Ärzt:innen oder Gesundheitsdiensteanbieter:innen mit Patient:innen zusammenarbeiten, um eine Entscheidung über die Behandlung zu treffen. Es beinhaltet die Auswahl von Tests und Behandlungen sowohl auf der Grundlage von medizinischer Evidenz, als auch auf den individuellen Vorlieben, Überzeugungen und Werten der betroffenen Person. Es stellt sicher, dass Patient:innen die Risiken, Vorteile und möglichen Konsequenzen verschiedener Optionen durch Diskussionen und Informationsaustausch verstehen [4].

Was bedeutet das für Sie als Patient:in

  1. Die Behandlung und Unterstützung, die Sie erhalten, sollte auf Ihren Bedürfnissen und dem, was Ihnen am wichtigsten ist, basieren.
  2. Bereiten Sie Ihre Arztgespräche gut vor: Welche Informationen brauchen Sie oder fehlen Ihnen, damit Sie Entscheidungen fällen können?
  3. Stellen Sie Ihren Ärzt:innen Fragen, bis Sie alle Informationen haben, um in Entscheidungen einbezogen werden zu können. Beleuchten Sie die verschiedenen Möglichkeiten.
  4. Treffen Sie gemeinsam mit Ihren Behandler:innen die nötigen Entscheidungen.
Quellenangaben:
[1] World Health Organization – WHO. World Alliance for Patient Safety. Global Patient Safety Challenge 2005–2006: Clean Care is Safer Care. Geneva,Switzerland: World Health Organi sation; 2005: 1 – 25 [http://www.who.int/patientsafety/events/05/GPSC_Launch_ENGLISH_FINAL.pdf] [2] Longtin Y, Sax H, Leape LL et al. Patient participation: current knowledge and applicability to patient safety. Mayo Clin Proc 2010; 85 : 53 – 62 [3] McGuckin M, Storr J, Longtin Y et al. Patient empowerment and multimodal hand hygiene promotion: a win-win strategy. Am J Med Qual 2011; 26 : 10 – 17 [4] National Institute for Health and Care Excellence – NICE. NIC guideline on shared decision making [https://www.nice.org.uk/about/what-we-do/our-programmes/nice-guidance/nice-guidelines/shared-decision-making]
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