Unsere äußeren Schicksale interessieren die Menschen, die inneren nur den Freund.

Heinrich Von Kleist

Der gesellschaftliche Umgang mit Krankheit

Dank des medizinischen Fortschritts und besserer Lebensbedingungen sind Fünfzig- und Sechzigjährige heute in der Regel gesünder, als frühere Generationen und sehen auch jünger aus als ihre Eltern und Großeltern im gleichen Alter. Jugendliche, makellose Körper gelten als das gesellschaftliche Ideal. Irgendwie wirkt es so, als ob es ein vermeintliches Gesetz gibt, dass man dem Vergleich mit der Jugend möglichst lange standzuhalten hat.

Widersetzt man sich diesem Trend – färbt die Haare nicht, macht nichts gegen seine Falten oder verweigert gar das Fitnesscenter oder man hat ein paar Kilo zu viel, wird man schnell schräg angesehen. „Du musst etwas für deine Gesundheit tun“ ist ein gut gemeinter Rat. Doch was ist ein gesunder Lebensstil? Dazu gehören zum Beispiel: gesunde Ernährung, genügend Bewegung, normales Körpergewicht, genügend Schlaf, wenig Konflikte und Stress, gute soziale Kontakte, nicht rauchen und keinen oder wenig Alkohol trinken.

Und plötzlich die Diagnose

Solange wir gesund sind und uns unverwundbar fühlen, solange es nur die anderen sind, die krank werden oder alt, denken wir nicht daran, dass es auch uns treffen kann. Was bedeutet es aber, wenn man in so einer Gesellschaft nicht nur älter wird, sondern vielleicht sogar krank? Schnell stößt man auf Fragen nach der letzten Vorsorgeuntersuchung, die man vielleicht doch wahrnehmen hätte sollen. Und hat man wirklich gut gelernt, mit dem Stress im Beruf umzugehen? Wäre nicht ein Yoga Kurs wichtig gewesen,….?
Und ohne es zu merken, hat sich das Gefühl eingeschlichen (mit-)schuldig an der Krankheit zu sein. Alles richtet sich darauf aus, möglichst schnell wieder gesund zu werden – am besten so, dass niemand merkt, dass man je krank war. Den Gedanken, dass die Erkrankung bleiben könnte und ein Teil des Lebens wird, lassen viele Betroffene erst gar nicht aufkommen. Die Krankheitsbewältigung ist aber von herausragender Wichtigkeit für die Lebensqualität von Patient:innen. Heinrich von Kleist sagte: „Unsere äußeren Schicksale interessieren die Menschen, die inneren nur den Freund“. Lassen Sie sich in dieser schwierigen Situation professionell helfen – denn Freunde sind hier manchmal überfordert.

Ihre

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Bärbel Klepp

 

Weiterführende Information:

Was ist Krankheitsbewältigung?

Schwere Erkrankungen stellen eine Krise im Leben dar, die nicht nur Patient:innen selber, sondern auch Angehörige trifft. Heim und Willi [1] definieren Krankheitsbewältigung als „das Bemühen, bereits bestehende oder erwartete Belastung durch die Krankheit innerpsychisch (emotional, kognitiv) oder durch zielgerichtetes Handeln aufzufangen, auszugleichen, zu meistern oder zu verarbeiten“.
Eine Erkrankung bringt Probleme und Veränderungen mit sich, die sich nicht auf einmal, sondern in einem Prozess aus verschiedenen Phasen verarbeiten lassen. Dabei gibt es unterschiedliche Verarbeitungsmodelle.

Phasen der Bewältigung:

Die hier dargestellten Phasen müssen nicht in dieser Reihenfolge auftreten – es können Phasen übersprungen werden oder aber sich einzelne Phasen wiederholen. Diese Darstellung dient daher nur dem besseren Verständnis der Krankheitsverarbeitung.

  1. Phase: Schock/Verleugnung
    In dieser Phase kommt es zu Unruhe und Angst, kognitive (intellektuelle) Fähigkeiten zeigen sich dann oft (vorübergehend) eingeschränkt. Die Bedrohung der Diagnose wird versucht durch Verleugnung zu reduzieren.
    Dadurch entsteht eine Art Puffer, die es Patient:innen ermöglicht, die Tatsache, wirklich krank zu sein, nach und nach zu akzeptieren. Manchmal ist die Reaktion überschiessend und es entsteht die Idee, dass es sich um eine Fehldiagnose oder Verwechslung handelt.
    Hilfreich in dieser Phase sind menschliche Wärme, Verständnis und Verlässlichkeit in menschlichen Beziehungen.
  2. Phase: Aggression
    In dieser Phase sind Patient:innen wütend und enttäuscht. Oft tritt die Frage auf: „Warum gerade ich?“ Die Agression wird oft auf nahestehende Personen übertragen und es kann zu Vorwürfen oder Kritik kommen. Patient:innen erscheinen häufig ungeduldig, gereizt, ungerecht und uneinsichtig.
    Hilfreich in dieser Phase ist, wenn es Angehörigen gelingt zu erkennen, dass die Aggression nicht ihnen sondern der Erkrankung gilt. Patient:innen brauchen Geduld und ein Kommunikationsangebot.
  3. Phase: Depression
    Es kommt zu einer Veränderung des Körperbildes und zu einem Einbruch des Selbstwertes. „Was bin ich noch wert?“ Patient:innen sind in dieser Phase besonders verletzlich. Sie fordern einerseits Hilfe ein, tun sich aber gleichzeitig schwer Hilfe anzunehmen.
    Hilfreich in dieser Phase ist, wenn Angehörige sich nicht gekränkt zurückziehen, sondern es gelingt, die Beziehung unterstützend aufrecht zu erhalten.
  4. Phase: Verhandeln
    In dieser Phase versuchen Patient:innen quasi einen Handel mit dem Schicksal abzuschließen. Dies kann einerseits eine Zuwendung zu alternativen oder pseudowissenschaftlichen Heilmethoden sein oder aber das Auftreten besonderer Spiritualität (Kirche, Schamanen, etc.)
  5. Phase: Akzeptanz
    Patient:innen nehmen ihre Erkrankung als Teil ihres Lebens an.

Bewältigungs-Stile

Wissenschaftlich werden 4 Bewältigungsstile zusammengefasst:

  1. Verleugnender Bewältigungsstil
    Typischerweise hört man von solchen Patient:innen: „…das wird schon wieder,….das vergeht schon wieder. Ich habe keine Zeit für jedes Wehwehchen,..“ etc. Am Anfang der Erkrankung kann dies dazu führen, dass Patient:innen keine Behandlung durchführen wollen. Im Verlauf der Erkrankung werden solche Patient:innen zu Kämpfer:innen: „ich lass mich nicht unterkriegen!“ Diese Patient:innen versuchen ein möglichst normales Leben zu führen als „ob nichts wäre“. Dieses Verhalten kann sich positiv auf die Lebensqualität auswirken.
  2. Sinnsuchender Bewältigungsstil
    Typischerweise setzen sich diese Patient:innen intensiv mit dem Thema „warum ich“ und mit Schuld auseinander. Ohne Unterstützung führt dieses Verhalten oft zu Depression und Resignation.
  3. Aktiver, zupackender Bewältigungsstil
    Diese Patient:innen sehen die Erkrankung als bewältigbare Aufgabe. Sie informieren sich aktiv über ihre Erkrankung und sie suchen nach Lösungen. Oft kommt es zu Lebensstiländerungen und auch zu merklichen Veränderungen im Umgang mit Anderen.
  4. Suche nach sozialer Einbindung und Unterstützung
    Ein wichtiger und wirksamer Bewältigungsstil ist die Suche nach sozialer Einbindung und sozialer Unterstützung. Soziale Kontakte sind gerade im Krankheitsfall besonders wichtig.
    „Soziale Unterstützung“ kann Patient:innen entlasten. Allerdings ist diese nicht immer leicht zu erhalten. Präsentieren sich Patient:innen hilflos, ist dies für das Umfeld oft überfordernd und es erfolgt ein Rückzug. Präsentieren sich Patient:innen als zu stark („ich komm schon zurecht“), wird oft keine Hilfe angeboten. Das Mittelmaß – ein Eingeständnis, dass die Belastung zwar hoch ist, aber man fähig ist zurecht zu kommen – führt meist zu guter sozialer Unterstützung.
Quellenangaben:
[1] Bösch, Jacob, Benedikt, Horn, In: Heim e, Willi J. Psychosoziale Medizin. Heidelberg: Springer 1986
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